Es ist nit alles Spuk
Tue das Gute vor Dich hin und bekümmere Dich nicht,
was daraus werden wird.
Matthias Claudius
© Claudius-Ensemble
Foto: Jan Pauls Fotografie, Berlin
Aufführungen
des Programms
Samstag, 29. Oktober 2011
20.00 Uhr
Versöhnungskirche
Kirchsteigfeld
Gemeinschaftkonzert mit den
Wolpertinger Singers e.V.
aus Abensberg
*
Dirigenten:
Jens Bauditz
Veronica Bertsch
Chormusik von Johannes Brahms, Ernst Pepping und Harald Banter
Gepfefferte Sprüche und sarkastische Bänkellieder, scharfsinnige Wortspiele und lyrische
Naturbetrachtungen – all das vereint das Claudius-Ensemble in seinem neuen Programm. In
unseren Liedern beobachten wir freche Töchter und verzweifelte Mädchen, wir verzagen und
schöpfen Mut und lassen uns von mystischem Gesang zerstreuen, wir grasen mit fiktiven
Wesen und beten mit frommen Waldtieren, wir erleiden den ein oder anderen Sprachfehler und
finden am Ende dennoch Ruhe und Frieden ...
"All meine Herzgedanken sind immerdar bei dir" singt der wandernde Musje Morgenroth "leise in seine Gitarre" greifend. "Er hatte aber
eben nur Zeit, die Kußhände zu sehn, die das Dirnlein ihm nachwarf", schreibt Paul Heyse in seiner Geschichten- und Liedersammlung
"Der Jungbrunnen - Märchen eines fahrenden Schülers". Johannes Brahms gab der Sehnsucht ein musikalisch romantisches Gewand. In
den ersten beiden Strophen trauert der Wandersmann um den Verlust seiner großen Liebe - nicht um das flüchtige Dirnlein, sondern
vielmehr um seine Jungfer Abendbrod. "Seit du von mir geschieden bist, hab ich gelacht zu keiner Frist." In der dritten Strophe kehren
Glaube und Hoffnung zurück. "Gott wolle die vereinen, die füreinander sind! [...] Es wird noch Alles, Alles gut."
Wie ein plötzlich hereinbrechender Frost das Erwachen blühender Knospen zerrüttet, kann auch eine junge Liebe ohne "Glück noch
Stern" verderben. Helmut Barbe, der in Berlin lebt, beschreibt in seiner Volksliedbearbeitung "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht" die
heimliche Flucht eines Jünglings mit seinem Mägdlein in die Freiheit. Doch ohne Ziel und Bleibe finden sie nur den Tod, der sie auf ewig
vereint.
Die "Ballade II" aus den deutschen Bänkelliedern von Ernst Pepping, die der Lehrer von Helmut Barbe einer Anthologie des
Herausgebers Karl Heinz Kramer entnahm, endet besonders tragisch. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert war der Bänkelsang eine
in ganz Europa verbreitete Form der Unterhaltung und Weitergabe von Nachrichten. Die meist dramatischen Inhalte wurden auf
Märkten und Plätzen von einer Holzbank vorgetragen und bisweilen durch gemalte Szenen illustriert. Pepping vertonte in seiner
Sammlung "Lob der Träne" u. a. die traurigen Geschehnisse auf einer Eisenbahnschiene nahe Bremen in einer bittersüßen Tondichtung.
Unglücklich verliebt und "vom Elternhause ganz verstoßen", wusste sich ein junges Mädchen keinen anderen Ausweg. "... sie legt ihr
Haupt da auf die Schienen, bis daß der Zug von Barmbeck kam." Die Zugführer konnten die Tragödie nicht verhindern, "ihr rotes Blut
floß in den Sand." Mit einem makaber lächelnden Dur-Akkord endet die illustrativ in Töne gesetzte Ballade.
Die Dichter und Schriftsteller Ernst Jandl und Christian Morgenstern sind uns vor allem durch ihre komische Lyrik bekannt, geprägt von
sprachlicher Raffinesse und einer satirischen Weltsicht. Der in Wien geborene und verstorbene Jandl experimentierte in seiner Lyrik mit
virtueller Poesie und Lautmalerei. So ersetzte er in seiner "etüde in f" alle "w" durch ein "f", was zunächst wie ein akustischer Fehler,
doch zunehmend nach absurder Absicht klingt. Einzig unverfälscht bleibt die Wortgruppe "ach die heimat", die in der Vertonung von
Matthias E. Becker, durch die musikalische Verwendung von sogenannten Hornquinten, Assoziationen eines Waldes weckt. "Das
Mondschaf" in Franz Tischhausers musikalischem Divertimento nach Gedichten von Christian Morgenstern "rupft sich einen Halm" und
langweilt sich auf seiner tristen Bergweide im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode. "Sein Leib ist weiß, die Sonn´ ist rot." Der Münchner
Textdichter fand mit seinen Galgenliedern nicht nur zahllose Leser, er begründete mit seinem Gedicht "Das Nasobem" auch einen
wissenschaftlichen Witz. Das imaginäre Tier inspirierte den namhaften deutschen Zoologen Gerolf Steiner zu dem Buch "Bau und Leben
der Rhinogradentia", und so verfügt der "Nasenschreitling" noch heute über mehrere fingierte, zum Teil sogar illustrierte Lexikonartikel.
"Es ist nit alles Spuk", so stellen wir mit Gunther Erdmann in einem seiner "Gepfefferten Sprüche" fest, die von Fritz Scheffel gesammelt
wurden und auf alten überlieferten Lebensweisheiten basieren. Denn "was in euer Tochter Kammer gehet" hat seinen Grund in den
Verführungskünsten des Mädchens, die gleich "zween Hahn" auf "eynem Mist" unterhält. Glücklicherweise verwehrt sich das lyrische Ich
einer detaillierteren Beschreibung - "Sag mirs im Bade, da sind mir die Ohren weich." Die fesselnde Ausstrahlung einer Schönheit
wussten in "uralten Zeiten" auch die Schiffer auf dem Rhein zu bewundern. "Die Loreley" betörte mit ihrem goldenen Gewand und Haar
und ihrem lieblichem Gesang, doch verzauberte dabei die Steuermänner der Kähne so eindrücklich, dass ihre Aufmerksamkeit von den
gefährlichen Felsenriffen abschweifte und viele den Tod fanden. Das bekannte Gedicht von Heinrich Heine setzte der für seine
Volksliedvertonungen bekannte Friedrich Silcher in schlicht mitreißender Weise in einen Männerchorsatz um.
Wie Franz Tischhauser widmete sich auch der zeitgenössische Komponist Harald Banter einer selbstgewählten Sammlung von
Gedichten Christian Morgensterns. Mit viel "Schalmeiala, schmalmeialü!" mochte ein Igel Bewunderung bei seinem "Feinslieb Agel"
erwirken und blies auf seinen Stacheln charmante Lieder. Doch das Imponieren misslang gründlich, denn er verlor sein "Flötenhemd"
"und wurde nackt "zum Weiher fortgeschwemmt“. Und Feinslieb Agel, die "ging zum Nachbar, ach!" - Im folgenden Lied, dem kurzen
andächtigen "Gebet", beobachten wir "die Rehlein", die ihre "kleinen Zehlein" falten, um seligen Schlaf zu finden. "Das ästhetische
Wiesel" kommt auf "einem Kiesel inmitten Bachgeriesel" zwar nicht zur Ruhe, aber sitzt dort uns zur Freude und "um des Reimes
willen."
Johannes Brahms und Paul Heyse schließen den Kreis unserer kleinen Geschichtenauswahl. Im friedvollen Anblick des Mondes,
zwischen prächtigen Eichen und schlanken Rehen, gebettet auf weichem Moos in einer idyllischen "Waldesnacht", singt sich der Poet
aus Heyses "Der Jungbrunnen" mit einem "seiner alten Lieder" selbst in den Schlaf, bevor ihm leise die Augen zufallen. "Singet, holde
Vögellieder, mich in Schlummer sacht! Irre Qualen, löst euch wieder, wildes Herz, nun gute Nacht."
Jens Bauditz
(Oktober 2011)